Ein wandernder Weißgerbergeselle erinnert sich (1751)

Kurzbeschreibung

Die Reisebeschreibung, welche der Weißgerbergeselle Samuel Klenner verfasste, vermittelt einen Eindruck von der räumlichen Ausdehnung der Gesellenwanderung. Die Gesellenwanderung folgte auf die Lehrzeit und bildete die Grundvoraussetzung für die Meisterprüfung, die dem Handwerker die Ausübung eines Gewerbes erlaubte. Dass die Gesellen dabei in Gesellschaft von ihresgleichen reisten, entsprach durchaus den damaligen Gepflogenheiten. Bei den Aufenthalten bei Meistern des Handwerks in anderen Städten und Orten wurden nicht nur die Kenntnisse und Fertigkeiten vertieft, es fand auch ein kultureller Austausch statt, bei dem Fachwissen und Fertigkeiten weitergegeben wurden. Es waren nicht zuletzt die Gesellenwanderungen und ihre üblichen Routen, die den Rhein-Donau-Alpen-Adria-Raum überhaupt erst als Kulturraum entstehen ließen.

Quelle

Endlich bin ich An. 1715 auf das Weisgerberhandwerk kommen, habe bey meinem Vater 3. Jahr gelernet, und bin nach ausgestandenen Lehrjahren An. 1718 von dem ganzen Handwerk in Breßlau loßgesprochen, und in das Gesellenmittel genommen worden. Nachdem ich hierauf den meinen Vater ein Jahr vor Geselle gearbeitet, habe ich mich An. 1720. den 17. April in Gottes Nahmen auf die Wanderschaft begeben. Meine erste Reise war von hier nach Breßlau; hernach reisete ich mit einem Weißgerbergesellen, Nahmens Gottfried Scheffler, durch Oberschlesien, Mähren und Oesterreich, bis nach Wien, von da gingen wir des Communicirens wegen, nach Preßburg in Ungarn; von Preßburg ging ich wieder zurück in Oesterreich nach Wienerisch-Neustadt, 8. Meilen von Wien, eine große Stadt. Hier arbeitete ich 15. Wochen den Carl Siltingern, hernach ging ich wieder in Ungarn, allwo mein Camerad arbeitete; von hier gingen wir zusammen nach Ödenburg, communicierten daselbst, und schwenkten uns hierauf wieder in Oesterreich, gingen von da durch Ober- und Untersteyermark nach Grätz, alsdenn durch das Crannerland nach Labach. Hernach gingen wir auf Venedig, durch das Friauler- und Forlainerland, da wir unterwegens in Görtz, der Hauptstadt im Forlainerlande, Arbeit bekamen, und 34. Wochen den Meister Joseph Thalern in Condition stunden; hierauf aber von Görtz über das adriatische Meer nach der überaus großen und schönen Stadt Venedig fuhren. Von da ging unsere Reise nach Padua; alsdenn wanderten wir über das venezianische Gebürge, und kamen in Etschland nach Trident, gingen hernach durch Tyrol nach Inspruck, hierauf durch Bayern in das habsburgische gebiete, und bekamen in der Hauptstadt und fürstl. Residenz Salzburg, bey dem fürstl. Hofweißgerber Arbeit, wendeten uns aber, weil wir lange nicht communiciret hatten, nach 3. Wochen nach dem Reich zu, und gingen durch Oberösterreich, sonst Land ob der Enß genannt, durch das Bißthum Passau in Bayern, hernach nach Regensburg und Nürnberg, an welchem letztern Orte wir communicierten. Hierauf gingen wir durch das Frankenland nach Würzburg und Frankfurt am Mayn, hernach nach Mainz, von Mainz nach Worms, alsdenn durch die Churpfalz, nach Mannheim und Heidelberg, von hier nach Speyer, welches eine kaiserl. Reichsstadt ist, und von dannen durch Ober- und Unter-Elsas, nach Landau und Straßburg, von da nach Rastadt durch das Badnische, und hernach durch das Würtenbergerland, nach Stutgard, von hier durch Schwaben nach Ulm und Augsburg, alsdenn ins Bayernland, nach München, und von da nach Landshut. Als wir hernach 5. Wochen im Reich herumgelauffen, gingen wir wieder nach Regensburg, allwo wir unsere Sachen liegen lassen, und von da durch die bayerische Pfalz nach Amberg, von da nach Eger, von Eger durch Stock- und Deutschböhmen, nach Rokezahn, alwo wir 14. Tage arbeiteten, und hierauf nach Prag und Jungbunzel. Hernach gingen wir wieder in Mähren, nach Olmütz, von da in Oberschlesien, nach Teschen, und von da nach Pilitz, an der polnischen Grenze, alwo mein Camerad, Gottfried Scheffler, von mir ging. Nachdem ich 8. Wochen hier gearbeitet, ging ich in Pohlen, nach Krakau, und arbeitet daselbst 5. Vierteljahre bey dem Meister Joachim, unter welcher Zeit ich auf einem Dorfe, Langenacht genannt, 6. Meilen von Krakau, einmal communiciret habe. Von Krakau ging ich nach Warschau, und von da in Polnischpreussen, nach Thoren, also ich 8. Wochen den Meister Christoph Härteln in Arbeit gestanden. Hierauf ging ich nach Danzig, und von da nach Königsberg in Preussen, allwo ich den Herrn Heinrich Gallert, des löbl. Schöppenstuhls auf dem Roßgarte, Affefore, 3. Vierteljahre gearbeitet; von hier aber über den Frischenhaff bey Billau wieder zurück, erstlich nach Danzig und hernachmals nach Thoren, da ich denn aufs neue bey dem Meister Christoph Härteln 5. Vierteljahre lang gearbeitet habe. Nachdem endlich die Thore der wegen des Tumults und Stürmung des Jesuitencolllegii geraume Zeit gesperrt gewesenen Stadt Thoren, wieder eröffnet waren, begab ich mich nach vieler ausgestandener Angst, durch Pohlen nach Posen, von da nach (polnisch) Lissa; und endlich half mir der gütige Gott, daß ich den 8ten Dec. 1724 war der Freytag nach Nicolai, frisch und gesund wieder in meiner Vaterstadt Steinau anlangte, nachdem ich vier und drey Viertel-Jahre in der Fremde manche gute und böse Stunde genossen. Der Nahme des HERRN sey dafür gelobet!

Quelle: Samuel Klenner, Der Reisende Gerbergeselle oder Reisebeschreibung eines auf der Wanderschaft begriffenen Weißgerbergesellens, verlegt von David Siegert, Buchhändler. Liegnitz 1751, S. 2-5. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10913287-2

Wanderroute des Sattlergesellen Johann Helmig

Quelle: Wanderjahre eines Handwerksgesellen, Forschungsstelle für Personalschriften, Akademie für Wissenschaften und Literatur Mainz. Online verfügbar unter: http://www.personalschriften.de/leichenpredigten/quellenwert/wanderjahre-eines-handwerksgesellen.html  (letzter Zugriff im Dezember 2020)

Ein wandernder Weißgerbergeselle erinnert sich (1751), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-48> [01.12.2023].