Glückel von Hameln schreibt über die Hochzeit ihrer ältesten Tochter in Amsterdam (spätes 17. Jhdt.)

Kurzbeschreibung

Die in der deutschsprachigen Literatur als Glückel von Hameln bekannte Glikl bas Juda Leib (1646-1724) war als Witwe eine sehr erfolgreiche Geschäftsfrau und lebte in Hamburg und Metz. Für die 12 Kinder aus dieser Ehe, die das Erwachsenenalter erreichten, suchte Glikl sowohl nach guter Bildung als auch nach guten Ehepartnern und Ehepartnerinnen. Da die materielle Absicherung jüdischer Familien fast ausschließlich auf dem Handel beruhte, dienten Eheschließungen auch der Etablierung von Geschäftsbeziehungen. Glikls Memoiren sind die erste Autobiographie einer Frau aus dem deutschsprachigen Raum, wenngleich sie nicht auf Deutsch, sondern auf Jiddisch verfasst wurden. Der folgende Auszug aus den Memoiren entstammt einer der zahlreichen deutschen Übersetzungen und schildert die Umstände der Hochzeit von Glikls ältester Tochter, die im Alter von 14 Jahren mit dem etwa gleichaltrigen Sohn eines Geschäftspartners ihres Vaters verheiratet wurde.

Quelle

Also wir sind in gutem Handel gesessen. Mein ältestes Kind ist meine Tochter Zipora gewesen, welche nun bald zwölf Jahre alt gewesen ist.

Also hat Reb Löb, der Sohn von Reb Anschel, der in Amsterdam gewohnt hat, uns die Heirat vorgeschlagen mit meinem nachmaligen Schwiegersohn Kossmann, dem Sohn des Reb Elia Cleve – das Andenken des Gerechten gesegnet.

Nun, weil doch mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – zweimal im Jahr nach Amsterdam gezogen ist, hat er sich beeilt und ist wohl sechs Wochen früher gezogen als er zu ziehen pflegte, und hat an den Heiratsvermittler geschrieben, er müsste ohnehin nach Amsterdam ziehen, also wollt er sehen, was zu tun wäre.

Damals ist Krieg gewesen, so daß Reb Elia Cleve hat fortziehen müssen und er ist mit seinen Leuten nach Amsterdam zu wohnen gezogen.

Wie nun mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – nach Amsterdam gekommen ist, ist das Gerücht hierhergekommen, daß mein Mann sich mit Reb Elia Cleve verschwägern sollte. Dieses ist am Posttag gewesen, daß die Leute die Briefe an der Börse gelesen haben. Viele Leute haben es nicht glauben wollen und es ist viel Geld an der Börse verwettet worden. Der eine hat so gesagt, der andere hat so gesagt, und viele haben nicht glauben wollen, daß die Heirat geschehen sollte. Denn Reb Elia Cleve ist ein sehr reicher Mann gewesen und hat den Namen gehabt für hunderttausend Reichstaler und mehr, was auch die Wahrheit gewesen ist.

Und mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – ist noch ein junger Mann gewesen, und wir sind erst aufgekommen und haben ein Häuschen mit Kinderchen – Gott behüte sie – gehabt. Aber was der Höchste beschließt, daß muß sein und muß doch geschehen, ob es Menschen auch nicht gern sehen. Vierzig Tage, bevor das Kind geboren wird, wird im Himmel ausgerufen: „Derjenige soll die Tochter von demjenigen nehmen.“

Also hat mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – sich verschwägert mit dem reichen Reb Elia Cleve. Mein Mann hat meiner Tochter zweiundzwanzighundert Reichstaler holländisches Geld nachgegeben und sie haben die Hochzeit nach einundeinhalb Jahr festgestellt, und die Hochzeit sollte in Cleve sein. Und mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – sollte zur Hochzeit einen Beitrag von hundert Reichstalern geben.

Wie nun die Zeit der Hochzeit gewesen ist, sind wir zusammen nach Cleve gezogen: ich, mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – und ein säugendes Kind hab ich gehabt, und meine Tochter Zipora, die Braut, und Reb Meir aus der Klaus, welcher jetzt Vorsitzender des Rabbinerkollegiums in der Gemeinde Friedberg ist, und unser Diener, der feine Schmul, und eine Dienerin.

Also sind wir mit einer großen Suite zu Gutem zur Hochzeit gezogen. Von Altona zu Schiff in Gesellschaft von Mordechai Cohen und Meir Iliusch und Ahron Tudelche. Was wir für eine lustige Reise gehabt haben, kann ich nicht erschreiben.

Also sind wir friedlich in aller Lustigkeit und Vergnüglichkeit nach Amsterdam gekommen. Es ist aber wohl noch drei Wochen vor der Hochzeit gewesen. Wir sind bei dem erwähnten Reb Löb Hamburger gewesen.

Wir haben alle Wochen mehr als zwölf Dukaten verzehrt, aber wir haben dieses nicht geachtet, denn in den drei Wochen, die wir vor der Hochzeit in Amsterdam [136] gewesen sind, hat mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – die halbe Mitgift verdient gehabt.

Vierzehn Tage vor der Hochzeit sind wir mit Pauken und Tanz mit mehr als zwanzig Leuten nach Cleve gereist und sind wohl und mit Ehren empfangen worden. Wir sind in ein Haus gekommen das fast eine königliche Wohnung gewesen ist und in aller Art wohl möbliert wie ein Herrenhaus. Nun, den ganzen Tag hat man keine Ruhe gehabt von vornehmen Männern und Frauen, die alle gekommen sind und die Braut sehen wollten. Und in Wahrheit ist meine Tochter gar schön gewesen und hat nicht ihres Gleichen gehabt.

Nun ist große Zurüstung zu der Hochzeit gewesen. Damals ist in Cleve der Prinz gewesen, und damals hat noch der älteste Prinz gelebt, welcher Kurprinz gewesen ist. Und dieser ist ein junger Herr von ungefähr dreizehn Jahren anzusehen gewesen. Aber nicht lange danach ist der älteste Kurprinz gestorben und dieser ist an seiner statt Kurprinz geworden.

Auch sind dort Prinz Moritz und andere Fürsten und Vornehme gewesen. Alle haben sagen lassen, daß sie bei der Kopulation sein wollten. Also hat sich sicher der Vater des Bräutigams, Reb Elia Cleve, schon vorher eingerichtet auf solch hohe Gäste. Am Hochzeitstage gleich nach der Trauung war eine gute Kollation zugerichtet von allerhand Konfitüren und allerhand guten fremden Weinen und fremden Früchten.

Nun kann man sich wohl denken, was für ein Durcheinander und Wesen als da gewesen ist und daß der Vater des Bräutigams, Reb Elia – er ruhe in Frieden – und all seine Leute all ihre Gedanken nur darauf gerichtet haben, die vornehmen Gäste zu traktieren und wohl zu akkommodieren. Sie haben sogar nicht Zeit gehabt, einer dem anderen die Mitgift zu liefern und zuzuzählen, wie es Sitte war.

Also haben wir unsere und der Schwiegervater Reb Elia – er ruhe in Frieden – seine Mitgift in Beutel getan und versiegelt, daß man sie nach der Hochzeit zählen sollte.

Wie man nun mit Braut und Bräutigam unter dem Trauhimmel gewesen ist, hatte man in dem großen Durcheinander vergessen, den Ehevertrag zu schreiben. Nun, was hat man tun sollen? Alle Vornehmen mit dem jungen Prinzen sind dagestanden und wollten zusehen. Also hat der Vorsitzende des Rabbinerkollegiums Reb Meir gesagt, der Bräutigam sollte einen Bürgen stellen und sich verpflichten, daß er gleich nach der Hochzeit seiner Braut wolle einen Ehevertrag schreiben lassen, und der Vorsitzende des Rabbinerkollegiums hat den Ehevertrag aus einem Buch gelesen. Also ist die Trauung geschehen.

Nach der Trauung hat man alle Vornehmen in Reb Elias, des Bräutigams Vaters, großes Prunkgemach geführt, welches ist mit goldenem Leder ausgeschlagen gewesen. Drinnen ist ein großer Tisch gestanden, worauf lauter königliche Leckerbissen gewesen sind. Also hat man die Vornehmen nach ihrem Rang traktiert. Mein Sohn Reb Mordechai ist ein Kind von ungefähr fünf Jahren gewesen; es ist kein schöneres Kind in der ganzen Welt zu ersehen gewesen. Und wir haben ihn gar schön und sauber gekleidet. Alle die Vornehmen haben ihn schier aufgefressen. Besonders der Prinz, Gott erhöhe seinen Ruhm, hat ihn stets bei der Hand gehalten.

Wie nun die Vornehmen von den Konfekten und Früchten gegessen und auch wohl von den Weinen getrunken hatten, hat man den Tisch abdecken lassen und hinausgetan. Dann sind einige verkleidet hineingekommen und haben sich präsentiert und gar schön allerhand Possen gemacht, die zu einer Ergötzlichkeit gedient haben.

Zuletzt haben die Verkleideten einen Totentanz gemacht, der sehr schön gewesen ist. Auf der Hochzeit sind auch viele vornehme Portugiesen gewesen, darunter einer, der hat Mocatta geheißen, der ist ein Juwelier gewesen, der hat gar ein schönes goldenes Uehrchen, mit Diamanten besetzt, gehabt. Es ist auf fünfhundert Reichstaler gekommen. Der Vater des Bräutigams, Reb Elia, hat das Uehrchen von dem Mocatta gefordert und wollte es dem Prinzen schenken. Aber ein guter Freund ist dabeigestanden, der hat solches verhindert und hat gesagt: „Wozu soll dir das? Du willst dem jungen Prinzen so ein großes Geschenk machen? Wenn es noch der älteste Kurprinz wäre, so ließe es sich noch tun.“

Aber wie schon erwähnt, ist der alte Kurprinz gestorben und der junge an seiner statt gekommen, welcher nun auch Kurfürst ist. Aber wenn Reb Elia, der Vater des Bräutigams, zu dem Freund gekommen ist, der ihm gewehrt hatte, dem jungen Prinzen das Geschenk zu geben, hat er es ihm allemal mit einem großen Zorn vorgehalten. Und in Wahrheit, wenn Reb Elia, der Vater des Bräutigams, dem jungen Prinzen das Geschenk gegeben hätte, er hätte es ihm vielleicht in Ewigkeit nicht vergessen, denn solch große Herren, die vergessen solche Sachen nicht. Nun, „wer um Vergangenes klagt, bittet umsonst“.

Aber der junge Prinz samt dem Fürsten Moritz und allen Vornehmen sind alle gar vergnügt weggegangen und es hat in hundert Jahren kein Jude solche Ehre gehabt. Also ist die Hochzeit in Lustigkeit und Freude beendet gewesen.

Nach der Hochzeit bin ich nach Emmerich gefahren, auf das Grab von meiner Schwester Hendel – sie ruhe in Frieden. Was ich für Kummer und Herzweh gehabt habe, ist nur Gott – sein Name sei gelobt – bekannt, und es ist immer mehr schade, daß so ein junger, über den Maßen schöner Mensch die schwarze Erde kauen sollte. Sie ist keine fünfundzwanzig Jahre alt gewesen. Aber was hilft es? Was der Wille Gottes ist, müssen wir uns gefallen lassen. Sie hat einen Sohn und eine Tochter hinterlassen. Der Sohn ist gar ein braver junger Mensch gewesen und hat gar gut gelernt, ist aber leider unverheiratet gestorben, was Freunde und Fremde sehr bedauert haben.

Nun, einen Tag nach der Hochzeit haben wir uns wieder mit aller Vergnüglichkeit auf unsere Rückreise begeben und sind wieder nach Amsterdam gezogen, damit wir wieder den Weg nehmen sollten, den wir hergekommen sind. Wie es heißt: „Und er ging auf seine Reisen.“ Also sind wir wieder nach Amsterdam gekommen und sind ungefähr vierzehn Tage dort gewesen, damit mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – dort noch etwas gehandelt hat. Darauf sind wir von Amsterdam nach Delfzyl gezogen. Da muß man über das Meer, das heißt den Dollart, denn der stärkste Mensch, der das Meer nicht gewöhnt ist, muß dort todkrank werden. Denn es ist gar ein Wirbel und das Schiff wird sehr gerumpelt. Also sind wir in das Schiff gekommen und haben unser Gesinde in der Kajüte gelassen, das ist so viel wie ein Haus, und ich und mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – haben uns von dem Schiffer ein kleines Kämmerchen gedungen, in dem wollten wir allein sein. Und in der Wand von dem Kämmerchen ist ein Loch hinaus gewesen, das hat man können auf- und zumachen. Aus dem Loch hat man können in die Kajüte sehen und heraus und hineintun, was man begehrte.

Wie wir nun in unser kleines Kämmerchen gekommen sind, sind drin zwei Bänke gewesen, daß man sich hat darauflegen können. Also sagt mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – zu mir: „Glückelchen, da leg dich hübsch auf eine Bank und ich will dich gut zudecken. Hüte dich und sei vorsichtig, reg dich nicht und lieg ganz still, so wird dir das Meer nicht schaden.“ Ich bin niemals drübergefahren, aber mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – ist oftmals über den Dollart gefahren und ist darin erfahren gewesen. Ich habe meinem Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – zwar gefolgt und mich still hingelegt, aber in der Kajüte ist meine Dienerin mit meinem säugenden Kind drin gewesen und wir haben gar ein böses Wetter und konträren Wind gehabt. Das Schiff ist sehr hohl gegangen und alle, die in dem Schiff gewesen, sind todkrank gewesen, und alle haben – mit Vergebung – speien müssen. In Wahrheit, es ist so keine Krankheit in der Welt gewesen. Ich halte dafür, daß Todesnot nicht größer sein kann. Ich hab es zwar nicht gespürt, so lange ich still gelegen bin, nur ist meine Magd auch krank gewesen und hat sich nicht regen können und hat mein Kind nebbich bei sich gehabt.

Quelle: Die Memoiren der Glückel von Hameln, übersetzt von Bertha Pappenheim nach der Ausgabe von David Kaufmann. Wien: Meyer & Pappenheim, 1910, S. 134-40.

Natalie Zemon Davis, Women on the Margins: Three Seventeenth-Century Lives. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1995.

Glückel von Hameln schreibt über die Hochzeit ihrer ältesten Tochter in Amsterdam (spätes 17. Jhdt.), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-55> [01.12.2023].