Christoph Meiners: Eine naturhaft gedachte Völkerhierarchie (1790)

Kurzbeschreibung

Christoph Meiners (1747–1810) war Philosoph und Professor in Göttingen. In seiner Schrift „Über die Natur der afrikanischen Neger“ wandte er sich 1790 gegen die Abschaffung der Sklaverei. Er verknüpfte in aufklärerischer Manier ästhetische, körperliche, emotionale, kreativ-kognitive und moralische Dimensionen, um „Weiße“ und „Europäer“ als überlegen zu beschreiben und ihnen das Recht auf Macht zuzuerkennen, die sie nur nicht missbrauchen dürften. Indem er vor einem going native warnte, wenn Europäer in andere Erdteile gingen, ließ er die Sorge aufblitzen, dass „Weiße“ die von ihnen gezogenen Grenzen wieder auflösen würden.

Quelle

Die wachsende Aufklärung und die mit wahrer Aufklärung und Geistes-Bildung unfehlbar wachsende Menschlichkeit haben in den letzten Zeiten nicht nur richtigere Begriffe von den Rechten und Pflichten des Menschen verbreitet, sondern haben auch das Gefühl des erlittenen, oder fortdauernden Unrechts, den Unwillen gegen alle Unterdrücker, und das Mitleiden mit den Unterdrückten um viele Grade erhöht. Kein Wunder also, daß in eben dem Zeitalter, in welchem die zu lange gemißhandelten Völker und Stände gegen ihre Tyrannen aufstanden, diese zu einer furchtbaren Rechenschaft zogen, und ihre gekränkten und fast ganz vergessenen Rechte laut zurückforderten, daß in eben diesem Zeit-Alter die berühmtesten Schriftsteller aller Nationen gleichsam einen Bund schlossen, und in unserm Erd-Theil die Juden, und in der neuen Welt die Neger aus dem Zustande von Verachtung und Knechtschaft herauszureissen suchten, in welchen die einen, und die andern hinabgestürzt worden sind. Wen der allgemeinen Empörung aber wider eine jede Art von willkührlicher Gewalt geschah eben das, was von jeher den allen ähnlichen Gährungen geschah: man besserte nicht bloß, sondern man zerstörte; man strafte nicht bloß, sondern man rächte sich; und man machte sich nicht bloß von Despoten, und despotischer Gewalt, sondern von allen Gesetzen, und aller Unterordnung los. Die erwachende Freiheits-Liebe artete in Fürsten- und Adel-Stürmen aus, und Haß der Unterdrückung ging in einen fieberhaften Enthusiasmus für eine eben so unmögliche, als ungerechte Gleichheit aller Stände und aller Völker über. Ein beständiger Fortgang in nützlichen Kentnissen, und freien Untersuchungen wird auch diese Verirrung edler, aber mißgeleiteter Leidenschaften verbessern. Die gedemüthigten Fürsten werden gewiß die Gewalt wieder erhalten, die ihnen um des allgemeinen Bestens willen gebührt. Eben so gewiß werden die bessern Stände und Völker die Vorrechte behaupten; die sie wegen ihrer angebornen oder erworbenen höheren Vorzüge verdienen; und so wenig jemals Unterthanen mit ihren Regenten, Kinder mit Erwachsenen, Weiber mit Männern, Bediente mit ihren Herren, unfleissige und unwissende Menschen mit thätigen und Unterrichteten, erklärte Bösewichter mit Schuldlosen, oder verdienstvollen Bürgern gleiche Rechte und Freiheiten erhalten werden; so wenig können Juden und Neger, so lange sie Juden und Neger sind, mit den Christen und Weissen, unter welchen sie wohnen, oder denen sie gehorchen, dieselbigen Vorrechte und Freiheiten verlangen. Wenn es ungerecht ist, unter Wesen, die einander gleich sind, mit Gewalt niederdrückende Ungleichheiten zu erzwingen; so ist es nicht weniger ungerecht, solche, welche die Natur, oder andere unüberwindliche Ursache einander ungleich machen, gleichsetzen zu wollen. Und so heilige Natur-Gesetze es sind, daß keiner das Recht hat, einen andern muthwillig zu beleidigen, und keiner die Macht haben sollte, andere ungestraft unglücklich zu machen, eben so heilige Gesetze sind es auch, daß nach den Absichten der Natur Rechte und Pflichten gegen einander, und beide mit den Kräften im genausten Verhältnissen stehen, die man besitzt, um sein eigenes und andere Wohl zu befördern; und daß einem jeden in eben dem Maasse, in welchem er geben, und leisten kann, wieder gegeben, und wieder geleistet werde. Wer also weniger geben, und weniger leisten kann, als andere, der kann ohne Ungerechtigkeit nicht so viel fordern, als diese.

Nach dem ersten Eindruck, den die Neger-Freunde in England und Frankreich machten, hätte man glauben sollen, daß die schwarzen Sklaven in den ersten Monaten aus ihren Banden würden befreit werden. Allein die Regierungen, die sich anfangs durch das Geschrei der hitzigen Freiheits-Freunde zu weit hinreissen liessen, haben bis jetzte noch keinen entscheidenden Schritt zur Aufhebung der Sklaverei in der neuen Welt gethan, und unstreitig haben genauere Erkundigungen und Forschungen sie belehrt, daß eine plötzliche und unbedingte Freilassung den größten Theil der Neger eben so unglücklich machen, als die Pflanzer und Güter-Besitzer zu Grunde richten würde. In der That kann man kaum einseitiger und seichter raisonniren, als die eifrigsten Widersacher der Knechtenschaft der Neger. Man begnügt sich nicht damit, die Mißbräuche zu rügen, und zu übertreiben, die bei dem Einkauf und der Einschiffung der Neger, in ihrer Kleidung und Nahrung, in ihren Arbeiten und Züchtigungen vorgehen, und auf die Ausführung der gegen diese Mißbräuche längst gethanen Vorschläge zu dringen; sondern man will die Knechtschaft der Neger ganz abgeschaft wissen, und erklärt es für Gottes-Lästerung, wenn man behauptet, daß das Verhälthniß zwischen Herren und Knechten jemals ein natürliches, und rechtmässiges Verhältniß sein könne. Man sagt die Sklaven-Händler, die Sklaven-Schiffer, und besonders die Pflanzer in der neuen Welt als Verbrecher der beleidigten Menschheit an, durch deren Grausamkeiten den Nationen, welchen sie zugehören, ein ewiger Schandfleck angehängt, und ein schwerer Fluch aufgeladen werde. Man will endlich die Neger nicht bloß den Europäern, oder den Weissen gleich setzen, sondern es fehlt nicht viel daran, daß man sie über die schönsten, geistreichsten, und edelmütigsten Völker unsers Erd-Theils hinaus hebt. []

Von keinem der vielen falschen oder halbwahren Gemein-Oerter, die noch immer im gemeinen Leben, wie in Schriften als unumstößliche Grundsätze gelten, und selbst als Kriteria gebraucht werden, hat es mich so sehr gewundert, daß er sich bis jetzt erhalten habe, als von dem Gemein-Orte: daß alle Menschen gleich geboren werden, und also auch gleiche ursprüngliche Rechte und Pflichten haben. Gegen diesen Satz von der natürlichen Gleichheit aller Menschen streiten die übereinstimmenden Zeugnisse aller Reisenden, die uns die wilden, barbarischen, und halbkultivirten Völker anderer Erd-Theile beschrieben haben. Wider eben diesen Satz streitet die ganze alte und neuere Geschichte, welche lehrt, daß Schöhnheit, Thätigkeit, Empfindlichkeit gegen die Schönheiten der Natur und Kunst, unerschöpfliche Erfindungs-Kraft, Künste und Wissenschaften, theilnehmendes Mit-Gefühle von Dankbarkeit und Reue, von Schaam, von Eitel und Schicklichkeit, und alle aus diesen Gefühlen entspringende liebenswürdige, und bewundernswürdige Tugenden eben so wenig, als Freiheit und weise Gesetzte in allen Erd-Theilen und unter allen Völkern der Erde wohnten: daß von jeher die weissen und schönen Nationen, und vorzüglich die Europäischen alle schwarze, rothe, und braune Völker in viel kleinere Zahl überwunden, und nach der Unterjochung im Zaume gehalten haben: daß die schwarzen, braunen, und rothen Völker Künste und Wissenschaften nicht nur nicht erfanden, sondern auch nicht einmal fähig waren, sie anzunehmen, wenn sie ihnen auch noch so lange angeboten, und noch so leicht gemacht wurden; und daß unter eben diesen Völkern der besser gebornen Menschen viel weniger sind, als unter uns der unheilbaren Blödsinnigen, oder Verrückten, oder Verkehrten. Wider die ursprüngliche Gleichheit aller Völker streitet endlich die ganze Anatogie der Natur, oder die Harmonie täglicher und unverwerflicher Beobachtungen. Eine allgmeine Erfahrung lehrt uns, daß es kein Mineral, keine Pflanze, keinen Baum, und keine Thier-Art gebe, die nicht irgendwo in ihrer höchsten Vollkommenheit, und anderswo hingegen durch den Einfluß von weniger günstigen Ursachen in geringern Grade von Vortrefflichkeit hervorgebracht würde: daß, wenn Gemächte und Thiere aus dem Klima, und dem Boden, wo sie am besten gedeihen, in andere weniger vortheilhafte versetzt werden, sie alsdann aus arten; und wenn man einen unedlen Stamm einen edelen Zweig einimpft, und ein Thier von besserer Art mit einem andern von einer schlechtern sich vermischen läßt, alsdann die Früchte des ersten, und die Brut des letztern unfehlbar veredelt werden.

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Der Mensch war, und wurde in keinem andern Erd-Theil so schön, so stark, so thätig, so tapfer, so gefühlsvoll gegen das Glück und Unglück anderer, und so reich an Künsten, Wissenschaften, und Jugenden, als in Europa. Wenn der schöne, starke, geistvolle, tapfere, und edelmühige Europäer in andere Erd-Theile versetzt wird, so artet er aus, und verliert einen Theil der ihm angestammten Kraft, Thätigkeit, Tapferkeit, Menschlichkeit, und Geistes-Stärke. Vermischt er sich aber mit Menschen von anderer Abkunft, anderer Farbe, anderer Bildung, und Anlagen des Geistes und Herzens; so erhebt er das Blut des Kindes über das Blut der Mutter, und theilt dem Kinde zur Hälfte nicht nur seine Farbe, seine Bildung, und übrigen körperlichen Vollkommenheiten, sondern auch die höhern Gaben des Geistes und Herzens mit.

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Der äussere Mensch entspricht im Durchschnitt stets dem Innern, und umgekehrt.

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Die Furcht, daß die Ueberzeugung von der Erhabenheit der weissen Menschen über die schwarzen, rothen, und braunen ein Grund, oder wenigstens eine Entschuldigung der Ungerechtigkeiten der ersten gegen die letztern werden könne, ist nicht ganz erdichtet. Alle Schriftsteller bezeugen es, daß viele Pflanzer die Mißhandlungen der Neger damit zu beschönigen suchen: daß die Neger keine Seelen, oder keine Vernunft hätten, und keine Menschen seien; und alle Geschichtschreiber stimmen darinn überein, daß die Eroberer der neuen Welt, und der Ost-Indischen Inseln und Länder ihre Grausamkeiten auf eine ähnliche Art zu rechtfertigen gesucht haben. Allein das Gefühl der angebornen Erhabenheit über die Bewohner anderer Erd-Theile wird man dem Europäer gewiß nicht durch die beständige Wiederhohlung des Gemein-Platzes von der natürlichen Gleichheit aller Menschen nehmen, welchen Gemein-Platz er ausser Europa durch tägliche, und untrügliche Erfahrungen widerlegt sieht. Viel besser und sicherer ist es, dem durch seinen Geist mehr, als durch seinen Körper siegenden und herrschenden Europäer zu beweisen, daß wenn auch die Neger, die Americaner, und andere diesen ähnliche Völker in aller Rücksicht weit unter ihm seien, er deßwegen kein Recht habe, seine auf einer niedrigeren Stuffe stehenden Brüder mit einem grausamen Muthwillen zu vernichten, oder zu mißhandeln, daß er vielmehr seine höhern Kräfte dazu anwenden müsse, um diese Menschen besser und glücklicher zu machen, als sie sich selbst überlassen geworden wären, und daß eine auf Weisheit und Güte gegründete Herrschaft seine eigenen Vortheile vielmehr befördere, als eine willkürliche, und zerstörende Tyranney. In Europa ist zwar die ursprüngliche Verschiedenheit von Menschen, und Völkern nicht so groß, als in andern Erd-Theilen; allein beständige und gleichförmige Erfahrungen haben doch die Aussprüche des gemeinen Menschen-Verstandes veranlaßt: daß nicht bloß einzelne Menschen von andern Menschen durch die Beschaffenheit und Grade ihrer Gaben und Anlagen verschieden seien, sondern daß auch vorzügliche äussere und innere Gaben sich, wie natürliche Gebrechen, in gewissen Geschlechtern fortpflanzen; und auf diese letztere Bemerkung war von den ältesten Zeiten her unter allen Europäischen Völkern die Eintheilung in edle, und nicht edle Geschlechter gegründet. Auch hat die angebliche Gleichheit der Menschen die Nicht-Slawischen Europäischen Völker nie vermocht, den Wenden und Juden gleiche Vorrechte mit sich selbst zuzugestehen, oder diese für gleichbürtig mit sich selbst zu halten, ungeachtet es ihnen nie eingefallen ist, ähnliche Unterschiede zwischen Personen aus ihrem eigenen Mittel, und zwischen den Kolonisten aus andern Nationen gleichen Ursprungs zu machen.

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Quelle: Christoph Meiners, „Ueber die Natur der Afrikanischen Neger, und die davon abhängende Befreyung, oder Einschränkung der Schwarzen“, Göttingisches Historisches Magazin 6:3 (1790), S. 385–456 (Auszüge). Online verfügbar unter: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10738730?page=433

Black Central Europe, https://blackcentraleurope.com/

Christoph Meiners: Eine naturhaft gedachte Völkerhierarchie (1790), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-309> [02.12.2023].